Ich leere jetzt einfach mal meine Gedanken. Als ich jemand über diese Person nachfragte.
Jemand vom Deutschen Gehörlosenbund meinte, er sei das Sorgenkind.
S.W. bekommt eine Wohnung, einen gesetzlichen Betreuer und Hartz IV. Für kleine Extras sucht er Pfandflaschen und tauscht diese gegen Geld ein und setzt dieses Geld in Alkohol und Zigaretten um. Sein einziger Lichtblick im Leben, nach dem tragischen Tod seiner Mutter, scheint das Bowlingspiele zu sein, wo er schon Preise holen konnte. Preise für die Gehörlosengemeinschaft. Was tut die Gehörlosengemeinschaft? Nichts! Er ging in ein Clubheim und wurde gänzlich ignoriert. Niemand bezog ihn in die Gebärden mit ein, keine nette Geste, nicht mal eine Begrüßung. Und dennoch erzählt er, dass er immer wieder hin geht. Sind wir doch seine Gesellschaft und seine Kultur. Eigentlich. Obwohl er von Hörenden abstammt (wie viele von uns) gebärdet er sogar ganz gut. Doch Freunde hat er keine. Eine Freundin hatte er auch nie. Ein Leben in Stille und Stummheit und vor allem in Einsamkeit.
Kann man ihm vorwerfen, dass er mehr trinkt, als ihm gut tut? Ich finde nicht. Seine Mutter starb tragisch und sein Vater tat nichts. Jahre später starb sein Vater und seine hörende Schwester will nichts mit ihm zu tun haben. Erbstreitigkeiten sind es angeblich nicht, anderseits gab sie bei Bohrungen von S.W. zu, dass sie mit ihm zur Bank müsste und da was geklärt werden muss. Aber Wärme und Liebe bekommt er auch nicht von ihr. Wie lange hält es ein Mensch wohl aus, der immer wieder Kontakt ist und zu einer kleinen „Gesellschaft“ gehört, in ständiger Einsamkeit leben zu müssen. Weil man wegen nichts jemanden ablehnt. Ich bin davon überzeugt, würden die Gehörlosen auf in zugehen, hätte er andere Perspektiven, statt nur die Einsamkeit im Alkohol zu ertränken.
Ich klage die Verlogenheit einiger Gehörlosenverbände, Gehörlosenvereine und Gehörlose Leute scharf an. Suggerieren sie, auch wie man immer so toll im GL-Cafe-Forum lesen kann, „wir“ sollen zusammenhalten und unser „Zusammenhalt“ ist fast schon legendär. Doch, und hier kommt die Verlogenheit raus, es wird ausgesucht, wer integriert wird und bleibt, und wer nicht. Die Oberflächlichkeit der der Hörenden wird oft abgelehnt, doch findet man sie in der Welt der Gehörlosen ebenfalls. Kürzlich habe ich eine Nachricht von Hörende Frau aus Berlin erhalten und stellte mit Entsetzen fest. Hier:
Ich kämpfe nicht mehr, dass GL (Gehörlosen) ihre Möglichkeiten erreichen können. Seit 2002 war ich täglich an Eurer Seite. Und ich mach auch keine entsprechenden Vorschläge mehr. Ich finde keinen wirklichen Zugang zur GL-Gemeinschaft in Berlin….und ich kann derzeit auch noch nicht umziehen um entsprechend der GL-Vorschläge in anderen Bundesländern als Dolmi zu arbeiten. Die GL in Berlin haben offenbar sehr hohe Erwartungen an Leute, die DGS (Deutsche Gebärdensprache) lernen. Ich hab die Schnauze volll. Wenn GL jetzt was von mir wollen, müssen sie kommen und fragen.
So, als ich die Nachricht von hörende Dame gelesen habe, frage ich mich dann, welche Menschenverstand die Gehörlosen verfügen. Freundschaften sind tatsächlich oberflächlich und man muss ein unfreiwilliger Mitschwimmer der auferlegten Gehörlosen-Gesellschaft sein, um akzeptiert zu werden. Man wird somit in unserer Gesellschaft für einen unverschuldeten und schlechten Start ins Leben verantwortlich gemacht. Zusammenrücken und Gemeinsamkeit. Nein! Man guckt oberflächlich Wer man ist und Was man ist.
Ich weiß dass sehr viele Gehörlosen meinen Blog lesen und es ist mir egal. Wenn es nicht in der oberflächlichen Gehörlosen-Gesellschaft ist, dann setze nicht immer und unbedingt auf sie. Es gibt sehr viele Hörende, die uns gegenüber ebenfalls aufgeschlossen sind und andere Menschen nicht vorverurteilen, wie es die Gehörlosen tun. Alles Gute!
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So nun kurze Erklärung, was Audismus bedeutet:
Ideologischer Audismus:
Ø Missverständnisse über die Gehörlosenkultur und Gehörlosengeschichte
Institutioneller Audismus:
Ø Sehr wenige Angebote in der Frühförderung in Gebärdensprache
Ø Die Lautsprachliche Erziehung mit oder ohne CI wird immer wieder empfohlen
Individueller Audismus:
Ø Der Audismus geht von den Gehörlosen selber aus
Ø Gehörlose sehen sich selber nicht als vollwertig an
Ø Daher gibt es innerhalb der Gehörlosengemeinschaft eine starke Distanzierung
Ø Es kann sich keine starke Gehörlosengemeinschaft entwickeln
Quelle: Kommunikationsforum am 8. Dezember 2009 in Gütersloh!