hewritesilent: Hallo „Jana“, ich kenne dich durch dein Auftritt vor der Kamera – war das aufregend für dich? :0)
Jana (Name geändert, echte Name des Interviewpartnerins der Blogger bekannt): Ja, da war ich aufregend. Und ich weiss nicht wer mich gerade im TV anguckt. Normalerweise steht mir immer ein anderer Gehörloser gegenüber und nickt mir zu, wenn ich gebärde. Aber vor der Kamera ist es so kalt, so leer… ich sehe nur ein schwarzes Loch. Daran muss ich einfach immer denken. Aber auch bei besonders schwierigen Aufträgen bin ich aufgeregt. Oder wenn viele Leute da sind. Ich bekomme immer noch ab und zu Lampenfieber, obwohl ich sowas schon oft machen musste. Noch was: Wenn die Aufnahme startet, muss ich noch 6 bis 7 Sekunden warten, bevor ich anfange zu übersetzen. Denn ein Dolmetscher muss zum Schluss noch den letzten Satz übersetzen. Manchmal passiert beim Schnitt auch, dass der Dolmetscher im Film früher fertig ist. Der Inhalt, die Zeit und die Haltung müssen also stimmen. Und immer schön freundlich sein! Deshalb diese ganze Aufregung.
hewritesilent: Wie lange bist du schon Dolmetscherin?
Jana: Seit 20 Jahren also fast genau um diese Zeit, wo damals Mauer gefallen wurde. Da war ich aber noch in der Dolmetscherzentrale.
hewritesilent: Du musst also vor dem Übersetzen viel üben?
Jana: Das ist unterschiedlich. Wenn ich mir die Gebärden überlege, so kann ich mich gut vorbereiten. Und das Anpassen! In der Lautsprache klingt ein Satz oft anders als in der DGS. Also weg damit, ein neuer Satz muss her. Ganz typisch!
hewritesilent: Hast du manchmal das Gefühl, dass du überfordert bist?
Jana: Es wird nicht nur einfach gedolmetscht. Wenn ich den übersetzen muss, gibt es manchmal Schwierigkeiten. Zum Beispiel jemand gebärdet oder redet durchgehend, da muss ich oft darauf achten. Aber überfordert? Nee. Wenn es so wäre, dann hätte ich die Arbeit längst aufgegeben.
hewritesilent: Bekommst du von gehörlose Kunde Kritik, wie du als Dolmetscherin warst?
Jana: Ich bin mir sicher, dass die Gehörlosen untereinander über Dolmetscher reden, aber ob die ihre Meinungen an mich mitteilen? Leider sehr selten.
hewritesilent: Und schwerhörige Kunde, die auf Gebärdensprachdolmetscher angewiesen ist?
Jana: Oh sehr gute Fangfrage, meine bisherige Erfahrungen ist ein schwerhörige Kunde manchmal anders als ein gehörlose Kunde, für den man dolmetschen muss. Zwischen Schwerhörigen und Gehörlosen sind manchmal ein grosser Kontrast! Als Gebärdensprachdolmetscherin gab es auch Situationen und ich bin oft erstaunt, erwundert, wie wenig vor allem Gehörlosen und einige Schwerhörigen an Wissen aufweisen und manchmal Probleme haben z.B. Gespräche. Ich muss mir die Gebärden überlegen und auch darauf achten, dass die Gebärdensprache in Deutschland unterschiedlich ist. Meine Aufgabe ist das Dolmetschen, fertig.
hewritesilent: Du bist hauptberuflich Dolmetscherin. Hast du noch einen Nebenberuf?
Jana: Nein! Das ist genug! Sonst explodiert mir noch der Kopf. Aber ich habe viel Arbeit und ich muss auch Aufträge ablehnen.
hewritesilent: Was? Ablehnen?
Jana: Ja, denn ich arbeite Tag und Nacht. Und einige Gehörlose wissen nicht, dass ich noch viel Büroarbeit erledigen muss. Das ist schon ganz hart. Selbständig halt, leider.
hewritesilent: Was für Büroarbeit?
Jana: Zum Beispiel Auftragsannahme. Wenn ich mit dem Dolmetschen fertig bin, was kommt danach? Erstmal Konzepte erstellen, dann Emails versenden, Kostenvoranschläge faxen oder mailen, Kostenträger ermitteln und so weiter.
hewritesilent: Wie lange dauert das Ganze?
Jana: 10-15 Stunden.
hewritesilent: Was? 10-15 Stunden am Tag?
Jana: Nee, in der Woche. Noch was über die Bezahlung: Viele sagen, dass die Dolmetscher eine Menge Geld verdienen. „Super, ich brauche nur hinzukommen, dolmetschen, kassieren, fertig“. Das stimmt nicht. Wenn ich krank bin und zuhause bleiben muss, verdiene ich gar nichts, aber die Ausgaben laufen weiter. Wenn ich keine Rentenversicherung zahle, bekomme ich auch keine Rente. Dann muss ich nacharbeiten, auch für den Urlaub. Versicherungen kommen noch dazu. Bei Angestellten wird alles automatisch abgezogen und der Rest kommt auf die Hand. Ich muss alles selbst zahlen. Okay, das ist ein guter Job, denn wenn es zuwenig wäre, hätte ich es längst aufgegeben. Ich wohne ganz bescheiden in einer Wohnung.
hewritesilent: Zum Beispiel Dolmetscher in Regelschule. Einige Gehörlosen sagen: „Für jeden Gehörlosen soll ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden“. Was meinst du dazu?
Jana: Was? Immer derselbe Kunde? Wenn es dazu kommen sollte, dann bin ich dagegen! Immer denselben Gehörlosen zu begleiten bedeutet auch, dass die Kodex irgendwann nicht mehr erfüllt werden kann. Da wird man zu persönlich. Als Dolmetscherin ist für mich Abwechslung sehr wichtig! Ich will verschiedene Leute treffen, öfters andere Aufträge annehmen, dann wird es nie langweilig! Ja, dafür gibt es auch mehr Unregelmässigkeiten, ich muss akzeptieren dass ich keine Beamtin bin, die regelmässig morgens in die Arbeit geht und nachmittags nach Hause darf. Am Wochenende gibt es für mich auch Arbeit, manchmal sogar nachts. Es gibt nun mal verschiedene Menschen.
hewritesilent: Bist du in der Freizeit mehr bei den Hörenden oder bleibst du in der Welt der Gehörlosen?
Jana: Unsere Eltern sind gehörlos. Wenn Freunde und Familie gehörlos sind, dann zeigt man automatisch mehr Verständnis. Selbstverständlich pflege ich auch die Beziehungen zu den Hörenden.
hewritesilent: Danke für das Interview.
Interview durchgeführt am 28. Juli 2012