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Archiv der Kategorie: Schwerhörige

Verein ohne Einigung #inklusion

„Bundesarbeitsgemeinschaft Hörbehinderter Studenten und Absolventen e.V.“ – so die Entschlüsselung der Abkürzung „BHSA“ (www.bhsa.de). Einige Male im Jahr führt „Europas grösste Selbsthilfegruppe ihrer Art“ (so die BHSA über sich) Tagungen, Seminare und Workshops durch und nimmt an Aktionen und Messen teil. Zu den Hauptaufgaben gehören unter anderem Forderungen beim Staat vorzutragen und die Interessen der Mitglieder nach aussen zu bringen.

Kommunikationsprobleme innerhalb des Vereins

Die meisten Mitglieder sind schwerhörig. Zur BHSA gehören noch Ertaubte, CI (= Cochlea Implantat)-Träger und einige Gehörlose. Die Verständigung untereinander ist schwierig, da nicht alle Hörgeschädigte die Gebärdensprache beherrschen. Zu Tagungen und Seminaren werden daher Dolmetscher bestellt, die zum Teil aus eigener Tasche finanziert werden müssen. Die französische BHSA soll wegen diesen Problemen in zwei Teile zerfallen sein und die Organisatoren führen zur Zeit nur noch „Kaffeefahrten“ durch…

Dolmetscher en masse

Damals jede Tagung standen für die Teilnehmern von zwei bis sogar bis zu sechs Dolmetscher bereit. (Zwei für die DGS, zwei für die LBG und zwei für die lautsprachliche Übersetzung- jeweils im Wechsel). Bei einem Vortrag wie Kofo (= Kommunikationsforum) übersetzten gleichzeitig zwei bis drei Dolmetscher (Gebärdensprachdolmetscher und Schriftdolmetscher). Normalerweise werden auch zusätzlich Mitschreibekräfte eingesetzt, doch manche an dem Tag wurden keine bereitgestellt.

Beschwerden über „mangelhafte“ Verständigung bei Vorträgen

Ein CI-Träger konnte bei den Vorträgen im grossen Saal mit allen drei Dolmetschern nichts anfangen. Da zu allem Übel auch noch die Induktionsschleife zickte, war der Teilnehmer auf das Mundablesen angewiesen. Andere Schwerhörige hatten das gleiche Problem. Da der Dolmetscher, der die Gebärden in Lautsprache übersetzte, mit dem Rücken zu den Gästen sass, konnten die „Mundableser“ bei dem Vortrag kaum folgen. Die Schwerhörigen sollten sich in der erste Reihe setzen, so der Vorschlag von der Organisatorin. Ein Gehörloser meinte, zum besseren Mundablesen könnte man die Sprecherin per Kamera und Beamer auf die Leinwand übertragen. Ganz schön kompliziert…

Gehörlose in der BHSA

Mehrere Diskussionsrunden fanden im Rahmen der Tagung statt. Gehörlose tauschten ihre Studienerfahrungen aus. Die Studienwege sind unterschiedlich – einige hatten Dolmetscher, andere studieren ohne deren Unterstützung (!). Wünschenswert ist natürlich, dass der Dolmetscher sich in dem Studienfach bestens auskennt. Ein Problem sind die Studentenarbeitsgruppen, wo Gehörlose ohne Unterstützung von Dolmetscher Aussenseiter sind. Oft müssen Gehörlose sich durchs ganze Studium alleine durchschlagen. Hier sieht man, dass die „Deutsche Gesellschaft“ im Studentenleben kaum eine Rolle spielt.

Gebärdensprachdolmetscher – selbst die grösste „Liebe zur Gebärdensprache“ endet, wenn der Rubel aufhört zu rollen…

 
 

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Wirklich 80.000 Gehörlose und 250.000 Schwerhörige? #statistik

Im Internet-Forum für Gehörlose wird es derzeit heftig über die Unstimmigkeiten mit dem Zahlen diskutiert, ob es in Deutschland tatsächlich 80.000 Gehörlose leben oder 30.000 Mitglieder der Deutscher Gehörlosen-Bund gibt.

Gretchenfrage: Wie viele Gehörlose leben in unserem Land und wieviele Mitglieder hat Deutscher Gehörlosen-Bund wirklich? Das wusste bislang keiner so genau. Denn die Betroffenen ließen sich so schwer abzählen wie Tiefseefische.

Laut Deutsche Gehörlosenbund geht unter der Annahme, dass etwa 0,1% der Bevölkerung in Industrienationen von Gehörlosigkeit betroffen ist, in einer oft zitierten Schätzung von 80.000 Gehörlosen und 30.000 Mitglieder der Deutscher Gehörlosen-Bund in Deutschland aus.

Interessanterweise gibt dennoch andere Zahlen und zwar laut Schwerbehindertenstatistik von Rehadat-Statistik weist nun die Zahlen für Jahr 2011 auf, hier: 49.169 gehörlos und 241.195 hochgradige/taubheit grenzende Schwerhörige. Die statistische Bundesamt kommt so für Jahr 2009 auf insgesamt 48.123 Gehörlose und 231.412 hochgradige/taubheit grenzende Schwerhörige.

Komischerweise hat die NRW-Landesregierung (https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-1085.pdf) wieder aussergewöhnliche Zahlen als die andere Statistiken. Laut die Zahlen leben in NRW etwa 3,2 Millionen schwerhörigen (davon 2,2 Millionen Altersschwerhörigkeit), aber wenn man sich von hochgradig bis taubheit grenzend schwerhörige zusammenrechnet leben in NRW genau 279.649 Menschen. Sogar in NRW gibt es 11.933 die sogenannte Gehörlosengeldempfänger und nur 6.854 haben im Schwerbehindertenausweis mit GL registriert. Eine inoffizielle Schätzung die sich auf Zahlen der Versorgungsämter über alle Personen berufen, die die Voraussetzungen für einen Eintrag des Merkzeichens GL in einem Schwerbehindertenausweis erfüllen. Auch interessant ist leben in NRW tatsächlich 7.337 Gehörlosen.

Während man vermutet wird, dass sich einige Schwerhörige bewusst Gehörlosengeld ohne den Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen GL auszunutzen, ist auch zu prüfen ob die Beantragung eventuell mit fehlerhafte Bearbeitung verbunden ist.

Hierbei findet man offenbar im Moment ein riesen Zahlenchaos. Wie kann denn sowas in diesem Land, wo alle Personenstands- und Mitgliedsdaten akribischst in Computern erfasst werden? Arbeiten die Datenerfasser etwa nicht korrekt?Frei nach Ralph Raules Spruch: “Es ist nämlich ein verbreiteter Irrtum, warum die Präsidenten, Vorsitzenden, Statistiker und Politiker Zahlen rechnen können.“ 😉

 

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Funktioniert die Schule mit der vollen Inklusion? – Kofo Essen #gebärdensprache

http://www.zeichensetzen-online.de/kofo/htm/2013/juni/dat/Protokoll_Kofo_%2026_06_2013.pdf

Wie man aus dem Protokoll dieser Kofo in Essen (im Internat von RWB-Essen) im Sommer 2013 entnehmen kann, scheint ingesamt betrachtet schulische Inklusion für Hörgeschädigte in NRW zu scheitern, weil die bekannte Probleme auf die Bedürfnisse hörbehinderter Schuler in allen Bereichen herrscht. Somit ist es eine Bestätigung, warum die meisten gegen schulische Inklusion sind. „Silent Writer“ berichtete: Viele hörgeschädigte Schüler/-in sind gegen schulischen Inklusion!

Problematisch ist die sogenannte Mindestgrößenverordnung für Förderschulen (dadurch wird auch der Geldzuschuss geregelt) muss sicherlich in den Jahren entsprechend angepasst werden. Wenn weniger Schüler im Förderschule landet, wird die Förderschule geschlossen ohne WENN und ABER. Bei Schließung von Förderschulen ist es für vielen sicher ein Alptraum, wenn jemand eines Tages als Bildungsopfer sieht. Selbst Dr. Ulrich Hase sieht die Inklusion in Schulen durchaus kritisch, weil vieles noch nicht durchdacht ist. Vor allem denkt er, dass die Politik zu sehr darauf vertraut, dass die inklusive Gesellschaft sich schon entwickeln wird. Auch muss aufgepasst werden, dass der Berufsstand Sonderpädagogik (für Hörgeschädigte, für Blinde und Sehbehinderte, Lernbehinderte usw.) nicht ausstirbt. Dr. Ulrich Hase schlug provokativ vor, warum denn die Deutsche Gebärdensprache nicht als 3. Fremdsprache in den normalhörenden Schulen eingeführt wird, was mit großem Applaus von den Zuschauern begrüßt wurde. Auch sieht er die Gefahr, dass gerade stark hörbehinderte Opfer von Inklusion werden. Und das lustigste ist auch, aus dem Protokoll ist es zu lesen, dass man im Englischunterricht auch in Gebärdensprache einsetzen sollte. Die Frage ist auch, ob im Unterricht die Deutsche Gebärdensprache in der direkten Kommunikation verwendet wird oder in BSL (= British Signlanguage) oder ASL (= American Sign Language) wird? Und welcher Gebärdensprachdolmetscher/-innen können perfekt BSL oder ASL?

Die anwesenden RWB-Schüler, die damals mit der Inklusion in der Regelschule Erfahrungen machten, berichteten im Prinzip alle das Gleiche. Meistens hat der Hörbehinderte Unterstützung durch einen Förderlehrer, mit dem spezielle Fragen und Probleme zum Unterricht geklärt werden können. Aber ab der Klasse von 5-10 und Sekundarstufe 2, wo ständig ein Wechsel von Unterrichtsklassen und Lehrern stattfindet, funktioniert die Rücksichtnahme und die Unterstützung nicht mehr, auch weil die Kenntnisse und Erfahrungen mit Hörbehinderung dann einfach fehlen. Ein gehörloser Schüler berichtete, dass in der Grundschule die Integration zwischen den normalhörenden Schüler und ihm sehr gut war, weil die Kommunikation eher auf einer spielerischen (also kindischen) Ebene ablief. Zwar hatte er immer einen Gebärdendolmetscher dabei, aber als die spielerische Ebene in laufender Schulzeit wegfiel und immer mehr lautsprachlich kommuniziert wurde, fühlte er sich immer öfter isoliert, weil die Kommunikation nur noch über Dritte (Gebärdensprachdolmetscher) lief und in den Pausen der Gebärdensprachdolmetscher nicht immer dabei war.

Die bisherige Praxis der Inklusion in Regelschulen ist eher, dass vereinzelte hörbehinderte Schüler eine normalhörende Klasse besuchen. Dabei entsteht manchmal bei dem Betroffenen selbst das Gefühl, dass er mit seinen Problemen alleine dasteht und ihm der Austausch mit Gleichbetroffenen fehlt. Eltern beklagen vielmehr bürokratische Stolpersteine, wie beispielsweise. dass die Kosten eines Gebärdendolmetschers für die Regelschule nicht finanziert werden oder gar die Zulassung des hörbehinderten Schülers verweigert wird, weil eine Förderschule im gleichen Einzugsbereich liegt.

Ich habe da manchmal meine persönlichen Zweifel, ob so eine „gesetzliche Inklusion“ unbedingt notwendig sei. Aus meiner Sicht haben wir schon seit langem eine „sogenannte stille Inklusion“ erlebt, ganz egal ob Regelschule oder Förderschule. Als hörgeschädigter Kind habe ich selbst „Inklusion“ hautnah erlebt, wo ich nach der Schwerhörigenschule in einen Hort für normale Kinder untergebracht wurde. Damals musste ich oft feststellen, wie die normale Kinder ihre eigene Macken und Kanten haben und war wirklich nichts zu vergleichen gegenüber die Schwerhörigen und Gehörlosen damals. Das heisst das behinderten Menschen durch normale Menschen geringer einschätzen, weil sie „anders“ sind. Dann kommen solche Kommentare wie z.B. „Wie redet der den?“. Trotz meine Hörgeräte, lautsprachliche Entwicklung und akustische Wahrnehmung damals. Wie es heute aussieht, werden wir sehen, ob auch ein Cochlear-Implantat hilfreich sein kann. Dennoch musste ich auch durch viele Cochlear-Implantat-Träger erfahren, wieviele trotz Regelschule sich nicht wohl gefühlt hatten. Durch die frühe Hörgeräteversorgung bei Kleinstkinder und sowie der fortschreitenden Hörgerätetechnologie werden schon seit langem viele hörbehinderte Schülern in „normalen Schulen“ eingeschult. Ergebnis sähe sicher genauso gleich wie die normale Hörgeräteträger. Deshalb ist es gerade für die hörbehinderte Schüler größte Problem, die eine hochgradige Hörbehinderung (Hörverlust ab 60dB) haben und z.B. noch große Defizite in der Sprachentwicklung haben und auch in der Grammatik im Rückstand sind. Dafür müssten erheblich vielmehr Sonderpädagogen in den allgemeinen öffentlichen Schulen bereitstehen. Daran glaube ich nicht, da man auch Kosten einsparen will. Schon heute streiten sich Kommunen mit der Landesregierung, wer die erhöhten Kosten übernimmt. Wer behauptet schulische Inklusion sei ein Sparmodell, ist es aber nicht. Nämlich eine Cochlea-Implantat-Operation und Nachsorge kostet verdammt sehr viel Geld, waren im lautsprachliche und akustische Bereich genauso anstrengend wie die Hörgeräteträger damals. Was ist wenn es schief läuft, lohnt sich ein Cochlea-Implantat auch nicht mehr.

 

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TOP 3 OF der bestesten Verhörer #schwerhörig

Ich stelle gerade fest, wieviele Themen ich in letzter Zeit hier über Gehörlosigkeit gebloggt habe. Diesmal geht´s um Schwerhörigkeit, die wegen ihrem schlechtem Gehör immer alle falsch verstehen. Hier die lustigsten Missverständnisse:

1. Missverständnis:
Ich traf mich mit ein paar Freunden im Kneipe und redeten, was wir am Abend machen könnten. Da sagt eine Freund zu mir: „Du, er gibt eine Runde Tequila aus.“ Ich sagte dann: „Aha…“ Nach einigen Momenten musste ich grübeln, was er wirklich gemeint hat. Dann fragte ich ihn nocheinmal: „Er gibt sich als KILLER aus?!“
Den Blick des Erwähnten werd ich nie vergessen.

2. Missverstädnnis:
Ich habe mit meine Lehrerin damals über meine Klausur gesprochen.

Meine Lehrerin: „…das ist ein Kriterium“
Ich: „Was, ich bin ein Bakterium???“

3. Missverständnis:
Er: „Musst Du jetzt aufs Klo gehen?“
Ich: „Nein, vielleicht später, jetzt aber nicht. Warum?“
Er: „…was hast Du gerade verstanden?“
Ich: „…?“
Er: „Eigentlich wollte ich dich fragen, ob Du nochmals auf Play drücken kannst.“

 
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Verfasst von - 21. März 2013 in Schwerhörige

 

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Hard MISSion – Miss Deaf World 2012

Karin Keuter ist „Miss Deaf World 2012“ oder Meppenerin Karin Keuter schönste „Gehörlose“ der Welt

Einmal im Jahr schlagen die Männerherzen höher. In Prag, der goldenen Stadt, steigt die „Party“ des Jahres, und man sieht die hübschesten Mädels aus aller Welt gleichzeitig an einem Ort. Jedes Land schickt sein hörgeschädigtes Mädchen und von allen Teilnehmerinnen werden die drei Schönsten gewählt. Diese Veranstaltung wird „Miss Deaf World“ genannt, findet aber weltweit bei den Hörgeschädigten nur wenig Beachtung. Völlig zu Unrecht, da sie auf einem viel höheren Niveau liegt als die üblichen Miss-Wahlen der Gehörlosen. Dafür schenkten die Hörenden der „Miss Deaf World“ sehr viel Aufmerksamkeit – mehr als die Hälfte der Zuschauer war hörend, fast täglich berichtete die tschechische und internationale Presse darüber und zahlreiche namhafte Sponsoren unterstützten das Ereignis.

Auch wenige Hörgeschädigtenverbände zeigten Interesse. Die Einladung zu der Wahl verschwand bei vielen Vereinen in der untersten Schublade. Daher reisten viele Kandidatinnen auf eigene Faust an oder wurden von Jungs angeworben, die auf keinen Fall sich für ihr Land schämen wollten. Von den vielen deutschen Mädchen, die in ganz Deutschland angeschrieben wurden, konnte keine überzeugen – bis die blonde Karin Keuter bei einer Miss Deaf Germany (2011) entdeckt wurde. Die erst 20jährige amtierende Miss Deaf Germany Karin Keuter (2011) war ein Volltreffer. Schwerhörige Karin Keuter gewann auf Anhieb zur Miss Deaf Germany und wurde zur internationalen Wahl angemeldet. Düster sah es dagegen für echte deutsche Gehörlose und Österreich aus. Dort konnte keine einzige hübsche Miss gefunden werden. Wen heiraten die Männer dort eigentlich?

Organisiert wird die Veranstaltung von „Top Hotels Groups“. Eine tschechische Hotelfirma, wo nur Hörende arbeiten. Warum eigentlich „Top Hotels Groups“? Vor elf Jahren beauftragte der tschechische Gehörlosenverband (SNN) die Agentur „Czech Model“, die erste Veranstaltung durchzuführen, da der SNN sich für so ein Event in diesem Ausmass einfach überfordert fühlte. Seitdem übernimmt „Top Hotels Groups“ bei jeder „Miss Deaf World“-Veranstaltung die komplette Organisation. Die vielen Sponsoren haben die aufwendige Durchführung möglich gemacht – die Kosten für die diesjährige „Miss Deaf World“ beliefen sich angeblich auf ca. über 100.000 Euro. Allerdings werden die Leute beim SNN langsam unruhig – man habe das Gefühl, dass SNN ins Abseits gedrängt werde. Bei einer Versammlung stellte eine Vertreterin aus Frankreich die Frage an den SNN, warum die Miss-Wahl seit über 10 Jahren immer in Prag veranstaltet werde. Die Antwort kam prompt: Erstens haben die anderen Länder eh kein Geld, um die Wahl zu organisieren und zweitens bestehe ein Vertrag mit „Top Hotels Groups“. Allgemeine Zustimmung („Ja, die Kassen sind knapp!“), dann wurde mit Mineralwasser auf weiterhin gute Zusammenarbeit geprostet.

Bereits am ersten Tag wurde es ernst. 
Kein Hallo vom Organisator, keine Vorstellung der Teilnehmer und keine Erholungspause von der Reise. Die Veranstalter drückten allen Teilnehmerinnen ein knallpinkes T-Shirt mit der Aufschrift „Miss Deaf World“ in die Hand mit dem Befehl, dieses nie und niemals abzulegen. Die T-Shirts waren im XXXL-Format und alles andere als sexy – die Mädels sahen darin wie Kanarienvögel aus. Gut, dass wenigstens nicht von Anfang an eine knallrote Mütze über dem Kopf gestülpt wurde, sondern erst vor dem grossem Finale. Cluburlaub lässt grüssen!

Sofort nach der Ankunft wurde im Konferenzraum mit dem Training begonnen. Der richtige Gang und die korrekte Haltung mussten einstudiert werden. Ständig gingen die Mädchen kreuz und quer sowie rauf und runter durch den Raum. Dazwischen Rufe von Josef Uhlir, Chef der Modelagentur. Josef spricht übrigens kein Englisch und kann auch nicht gebärden. Deshalb waren seine Tochter und auch andere Dolmetscherinnen im Raum, die allerdings nur tschechisch bzw. international gebärden konnten. Chaos war vorprogrammiert…

Obwohl die Misses alle erwachsene Frauen sind, benahmen sich die Dolmetscherinnen wie die Erzieherinnen in einem Kindergarten, die mit ihren Zöglingen ein Weihnachtsstück einstudierten. Die Begleiter waren entsetzt. Doch man wagte nicht die Mädels zu verteidigen – im Falle eines Rauswurfes wäre bei der Teilnehmerin die Welt sicher zusammengebrochen. Erst als die Dolmetscherinnen Strumpfhosen für die Miss-Wahl verbieten wollten, wurde protestiert. Schließlich wurden sie doch erlaubt – allerdings mussten die Mädchen beim Auftritt auf aufwendige Abendkleider verzichten, der Gleichheit wegen. Und allen Teilnehmerinnen wurde verboten, Hörgeräte bei der Tanznummer im Finale zu tragen. „Die Veranstaltung heisst MissDeaf World, wo ist das Problem?“, so die Veranstalter. Folge: Die Mädchen gerieten bei ihren Tanzauftritten oft aus dem Takt…

Der reinste Drill. Täglich wurde von morgen bis abend geübt. Gleich nach dem Frühstück ging es an die Arbeit. Nur zum Abendessen durften die Mädels eine längere Pause einlegen, dann ging es weiter. Mittagessen gab es übrigens keins. Erst um 21 oder 22 Uhr war Feierabend. Full Model Jacket!
Zermürbend war die Warterei zwischen den Übungen. Ganz bestimmt hätte ein einziger Tag zum Trainieren gereicht, wenn die Verständigung klappen würde. (Bei GNTM-Becoming klappt dies auch wunderbar, die Kandidaten tanzen bereits nach einem Tag fast wie ihre großen Vorbilder.) Da aber die Dolmetscherinnen die Mädchen weiterhin wie Kinder behandelten, dauerte das Training eine ganze geschlagene Woche.

Nur an einem Tag war Entspannung angesagt – eine Stadtrundfahrt stand auf dem Programm. Auch die First Lady der tschechischen Republik lud die Kandidatinnen zu sich ein. Im Anschluß eine kleine Bootsfahrt, dann durfte der Tag mit einer Weinprobe ausklingen. An einem anderen Abend wurden die Misses in ein Restaurant eingeladen, allerdings nur um sich den Film von der Miss Deaf World aus frühere Jahre anzusehen. Dann die Botschaft vom Veranstalter: Am selben Abend, gleich nach dem Rückkehr ins Hotel, stand die Anprobe der Kleider auf dem Programm. Den Mädchen stand die Erschöpfung groß im Gesicht geschrieben. Klar, dass an dem Abend null Partystimmung aufkam. Alle wollten nämlich nur noch eines: schlafen.

Während dem Training hatte man das Gefühl, in einer fernöstlichen Wäscherei mit müden Arbeiterinnen zu sein. Die Betreuer langweilten sich, vor allem die männlichen… Da half nur die Flucht in die Innenstadt, wo man sich ein persönliches Reiseprogramm zusammenlegte: Ein bisschen Karlsbrücke gucken und dann die Ruhe in einem kleinen Cafe geniessen. Bloß keine Mädchen mehr für den Rest des Tages.

Schwierigkeiten bei der Kommunikation zwischen den Misses. Zu Beginn hatten die Teilnehmerinnen noch Bedenken, ob man sich überhaupt verstehen würde. Einige versuchten es anfangs mit der internationalen Gebärdensprache. Schließlich beschränkte man sich einfach auf Pantomime und allgemeinen Gesten. Tiefgründige Gespräche waren natürlich nicht möglich. Daher wurden kaum Freundschaften geschlossen, über die Hälfte der Teilnehmerinnen blieben Einzelgänger. Schlimmer noch an einer Leinwand, was alles gesprochen wird, werden nur in tschechischer Sprache mitgelesen.

Am letzten Tag der grosse Schreck – einige Teilnehmerinnen hatten gar keine Strumpfhosen dabei, bei anderen wurden die Nylons bei der Anprobe zerstört. Also gingen die Begleiter schnell Ersatz suchen. Dann die Ernüchterung: In ganz Prag gab es keine Strumpfhosen, die für Miss-Wahlen geeignet waren! Weder in teuren Geschäften noch in Second-Hand-Bazaren…

Zwar gibt es alles Mögliche in Prag zu kaufen, auch China-Kram, täuschend echte Spielzeugwaffen und „Armani“-Hemden… Doch Strumpfhosen liessen sich nicht auftreiben. Und das einzige Geschäft hatte geschlossen… Zwei Betreuer gaben die Suche auf, die anderen zwei suchten weiter – und etwa 15 Minuten vor der Abfahrt zum Miss Deaf Wahl hatten sie doch die passenden Nylons gefunden…

Der grosse Abend. Fast 1300 Zuschauer passten in den Saal. Unter den Gästen waren ausser den SNN-Mitgliedern nur wenige tschechischen Hörgeschädigte. Selbst Miss Tschechien brachte keine gehörlosen Freunde mit. Dafür waren viele Gehörlose aus dem Ausland angereist, darunter ein halbes Dutzend gutaussehender Jungs aus Deutschland. Der Rest: Hörende Gäste aus Prag, die fast den ganzen Saal füllten. Zwei bis drei Dolmetscher standen auf der Bühne und übersetzten gleichzeitig. Bei der Show stand als Erstes die Begrüßung prominenter Gäste an. Dann traten die Mädchen in Kleidern auf, die von tschechische Textilfirma entworfen wurden.

Die Tanzauftritte der Misses danach waren unterhaltsamer, obwohl die Kandidatinnen wegen dem extrem glattpolierten Boden weniger schwungvoll waren als beim Training. Einige traten daher barfuß auf. Miss Russland, gelernte Ballerina, musste auf ihre gewagten Sprünge verzichten. Miss Slowakei, Miss Australia, Miss Kasachstan und Miss Italien tanzten zu Folkloremusik. Miss Frankreich und Miss Sweden versuchten es mit Gebärdenpoesie, leider wars für alle unverständlich. Ganz neu: Miss Israel schwenkte nach ihrem Auftritt die isralische Landesfahne. Eigentlich gehören die Tanzauftritte nicht zum üblichen Programm einer Miss-Wahl, denn bei den weniger talentierten Mädchen sieht es immer ein bisschen nach Miniplayback-Show aus. Normalerweise macht man ein kleines Interview mit den Kandidatinnen, um ihre Sprachgewandheit und Intelligenz zu testen. Warum die Veranstalter die Tanznummer wünschten, bleibt ein Rätsel.

Als die Mädchen in Bikini auf die Bühne spazierten, war der Saal wieder voll. In dem knallengen Bikinis sahen einige Mädchen aus wie Leistungsschwimmerinnen. Die vielen Musikeinlagen von Hörenden nutzten manche Zuschauer zu ausgedehnten Rauchpausen draussen im Foyer. Die Jury, die übrigens aus etwa 20 Hörenden bestand, bekam vor der Miss-Wahl Wahlbriefe verteilt. Kurz vor dem Finale sammelten die Veranstalter die Stimmbriefe ein, um diese auszuwerten. Nur wenige Minuten später stand die Auswertung schon fest… Ganz schön blitzschnell, die Tschechen.

Dann der letzte Auftritt in Abendkleidern, bei dem auch die Gewinnerinnen bekanntgegeben wurden. Adjelina Corovic wurde zur Miss Symphatie gewählt. Mit einem sympathischen Lächeln trat die Dame aus Montenegro nach vorne und nahm die Blumen dankend entgegen. Maria Latseviuk, die in Georgien geboren wurde, gewann den Titel zur 2. Vize-Miss. Als Maria Sakrevelashvili aus Georgien zur 1. Vize-Miss erklärt wurde, trat sie nach vorne und jubelte wie ein Fussballer nach einem geglückten Elfmeter – geballte Faust vor der Brust und ein lautloses „Yeah!“. Zum Schluß die Überraschung: Die Deutsche Karin Keuter wurde zur Miss Deaf World gekrönt und sie ringte um Fassung. Nach der ausgiebigen Gratulation stürmten die Fotografen zur Bühne, linsten durch die Superzoomobjektive und merkten verwundert, dass bei den Gewinnern keine einzige Träne über die Wange kullerte.

Wie immer gab es auch nach dieser Wahl Vermutungen und wilde Spekulationen. „Es wurde gewürfelt!“ – so ein enttäuschter Besucher. „Das Ergebnis stand sicher schon vorher fest“, vermutete ein Betreuer. Ein anderer: „Hätte man die vier Gewinnerinnen bei der Wahl interviewt, wäre das Ergebnis anders ausgefallen!“ – schließlich waren die vier Gewinnerinnen so wortkarg wie Clint Eastwood in „Dirty Harry“. Nette Geste der Gäste: Für die Teilnehmerinnen, die nicht die erhoffte Krone aufsetzen durften, gab es viel Trost von den (männlichen) Zuschauern. Die meisten Besucher waren trotzdem mehr als zufrieden mit der Veranstaltung, vor allem die Deutschen. Die Vorführung verlief schließlich fast reibungslos, ausser dem Zusammenstoss zweier Mädels gab es keine weiteren Pannen. Und die Misses sahen an dem Abend einfach bezaubernd aus.

Der Tag danach: Bereits am frühen Morgen packten die Teilnehmerinnen ganz schnell die Koffer. Um ihre Flieger zu erreichen, mussten manche noch vor dem Frühstück abreisen. Leider trafen sich die wenigsten noch ein letztes Mal und konnten so weder voneinander Abschied nehmen noch ihre Adressen tauschen. So verstreuten sich die Mädchen wieder in alle Winde. Eines ist sicher: Bei vielen wird ein fader Nachgeschmack in Erinnerung bleiben. Man kann nur hoffen, dass 2013 alles besser wird und „Miss Deaf World“ nicht irgendwann mit dem Slogan „Aussen hui, innen pfui“ erneut behaftet wird.

 

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Entdeckt: Beiträge im Cochlear-Implantat und Schwerhörigenforum

Das Forum im Schwerhörigen-Spinnernetz ist ein Sammelbecken für alle mögliche todernste Fragen, Ratschläge und Erlebnisse rund ums Ohr. Für Schwerhörige und Cochlear-Implantat Träger ist das Pipiboard absolut unentbehrlich und lebensnotwendig. Wir haben dort durchgeblättert und die schrägsten Fragen bzw. Erlebnisse herausgesucht.

– „Wie baue ich eine Induktionsschleife in mein Auto ein?“

– „Mein Hörgerät hat einen Virus. Wo kann ich die Spritze mit dem Gegenmittel reinstecken?“

– „Ist das OHRgasmus eine ansteckende Krankheit ? Und wie kann ich mich davor schützen?“

– „Ich habe ein neues Hörgerät. Darf ich jetzt schon am Ohrstück rumlutschen oder ist das Plastik am Anfang noch giftig?“

– „Mein Cochlear-Implantat Hörgerät verbraucht zuviel Strom. Kann ich ihn auf Solartechnik umbauen lassen?“

– „Die Farbe von meinem Hörgerät blättert ab. Hilft da Autopolitur oder nur noch neu lackieren? Zahlt das die Krankenkasse?“

– „Immer wenn ich aufs Klo gehe und die Toilettenspülung betätige, rauscht es im Ohr. Ist mein Cochlear-Implantat Hörgerät kaputt oder habe ich Tinnitus?“

– „Mein Hörgerät wird bei Regenwetter und in der Sauna immer feucht. Kann ich ihn mit Kondomen schützen, die ich eh nie benutze?“

– „Da meine schwerhörige Hündin altersbedingt immer schlechter hört und nicht immer auf Hundepfeife reagiert. Was muss ich auf hohe oder tiefe Töne achten mit der ich ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen kann?“

– „Ich war auf dem Weg nach Hause. Plötzlich hielt ein Auto neben mir an. Eine Frau fragte mich mit einem starken Akzent, ob ich ihr sagen könnte, wo sich diese bestimmte Strasse befände. Was sie sagte, habe ich verstehen können, nur diese Strasse nicht. Auch nach zweimaligem Wiederholen habe ich den Strassennamen nicht verstanden. Da sagte ich: „Tut mir leid, aber diese Strasse kenne ich nicht, also muss diese Strasse nicht in dieser Wohngegend sein.“ Da bedankte sich diese Frau und fuhr dann weg. Ein paar Meter weiter und ich war zu Hause. Eine halbe Stunde stand sie plötzlich vor meiner Tür. Sie fragte mich: „Kennen wir uns nicht schon?“. Oh man, war es mir peinlich. Sie hat nach dieser Strasse gefragt, wo ich wohne. Sie war unsere neue Putzfrau…..“

 

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Kein Schwerhörigen-Pädagogik mehr?

Inzwischen findet in Deutschland schrittweise Inklusionrevolution für behinderte Schüler statt, ob die Welt genauso verändert wie die französische Revolution. Die Schwerhörigenpädagogik soll davon betroffen sein. Wenn dies der Fall sein sollte, werden angehende Hörgeschädigtenpädagogen nur noch in den errichteten Professuren Gebärdensprachpädagogik und Gebärdensprachdolmetschen ausgebildet. Die Eltern schwerhöriger Kinder befürchten, dass in dem Fall der Unterricht in Lautsprache vernachlässigt wird und die mittel- und hochgradig schwerhörigen Schüler nur noch das Bildungsniveau von Gehörlosen erreichen werden. Die Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder meint wörtlich: „Die Schwerhörigenbildung wird in Deutschland auf das Niveau des 19. Jahrhunderts absinken“. Aus diesem Grund wählen immer mehr Schwerhörige ihren Bildungsweg an Schulen für Hörende. Ja, schwerhörige Schüler/-innen erwarten auch einen perfekt funktionierenden Pädagogen. Nobody is perfect.

 
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Verfasst von - 10. September 2011 in Inklusion/Integration, Schwerhörige

 

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