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Kommunikationshelfer, die bessere Gebärdensprachdolmetscher?

12 Aug


Zitat: „Stundenlohn von 55 € is doch net soo schlecht.“ (Quelle: http://www.gl-cafe.de)

55 € pro Stunde hört sich zwar nicht schlecht an. Gut, aber was steckt wirklich dahinter? Massenentlassungen gehören zum Alltag und die Arbeitslosenzahlen brechen alle Rekorde. Nur zwei Berufsgruppen scheinen hiervon nicht betroffen zu sein: Politiker und Gebärdendolmetscher.

Egal, wie die Lage aussieht: Dolmetscher sind immer gefragt. Und es sind immer zuwenige verfügbar, zur Zeit gibt es bundesweit etwa zwischen 350 bis 400 Gebärdendolmetscher je nach Qualität. Die Auftragsbücher sind brechend voll und Dolmetscher dürfen sich ihre Kunden aussuchen. Die Rechnungen können frei kalkuliert werden und werden auch bezahlt, wie auch immer. Gebärdendolmetscher – eine Marktlücke, die seltsamerweise unentdeckt geblieben ist. Genau wie die unerschöpfliche Sonnenenergie aus Afrika, ja ein Geschenk des Himmels.

Damit der Markt nicht von „billigen“ Übersetzern überschwemmt wird, haben die Dolmetscher Verbände längst gegründet. Grob formuliert funktionieren die nicht anders als die OPEC. Alles soll unter Kontrolle bleiben. Unter anderem gibt es etwa acht Institute in verschiedenen Standorten, wo jeder angehende Dolmetscher eine Prüfung ablegen kann. Im Angebot stehen auch diverse Fortbildungen. Das Ganze ist natürlich freiwillig, denn jeder kann auch ohne spezielle Ausbildung Gebärdendolmetscher werden und als Freiberufler seine Dienste gegen gutes Geld feilbieten. Übrigens: Bis jetzt werden in Ämtern und sogar von manchen Gerichten auch Familienangehörige und Freunde als Kommunikationshelfer zugelassen und entsprechend bezahlt.

Der Mangel an Dolmetschern führt zu extrem langen Wartezeiten. Nicht jeder Auftrag wird angenommen und nicht wenige Gehörlose wurden gelegentlich von Dolmetschern bei einem Termin sitzengelassen. Der Stundensatz kann beliebig ermittelt werden und die Rechnungen können astronomische Höhen erreichen. Richtig teuer wird es, wenn ein zweiter oder dritter Dolmetscher bestellt werden muss und für alle noch Fahrtkosten/Spesen hinzukommen. Und da in Hamburg, Köln, Berlin und München immer mehr Gehörlose studieren, werden immer mehr Dolmetscher dauerbelegt. Es sieht nicht so aus, dass sich die Lage in der nächsten Zeit entspannen wird.

Der Landesverband der Gehörlosen schlug eine Notlösung vor. Sogenannte Kommunikationshelfer sollten zum Einsatz kommen, wenn mal kein Dolmetscher zur Verfügung steht oder leichtere Aufgaben anstehen. Diese Initiative liess Dolmetscherverbände aufschreien. Die Qualität würde angeblich gewaltig nachlassen. Das Wort „Kommunikationshelfer“ könne zu Missverständnissen führen. Denn es erwecke den Eindruck, dass Gehörlose „Hilfe“ bräuchten, man könne dies als Unselbständigkeit sehen. Besser hilflos im Amt als Rettung durch einen Kommunikationshelfer? Das Ergebnis: Der Präsident hat eingestanden, dass das Wort „Kommunikationshelfer“ keine gute Wortwahl wäre. Müssen jetzt die Gesetztexte wieder geändert werden?

Im Bundesgleichstellungsgesetz wird erwähnt, dass die Behörden einen Dolmetscher oder Kommunikationshelfer zur Verfügung stellen müssen. Doch neuerdings fordern Gebärdendolmetscher für „schwierige Situationen“ einen Kollegen, der ihn nach einer bestimmten Zeit ablösen kann. Eine Stunde lang durchgehend übersetzen könne zu Konzentrationsstörungen führen. Und überhaupt sei diese Arbeit sehr anstrengend, wegen der Grammatik und so. Augen auf bei der Berufswahl!

Zusätzlich wurde vorgeschlagen, eine Rangordnung einzuführen – wie „von Azubi bis Meister“ oder „Dolmetscher 1. bis 4. Klasse“. Diese sollen auch später entsprechende Ausweise vorzeigen müssen. Dass Gebärdendolmetscher in der 1. Klasse mehr verdienen sollen als ihre Kollegen aus der vierten Klasse, ist selbstverständlich. Man hoffe, dass Behörden nicht aus Kostengründen nur Viertklässler bestellen. Der Sinn der Sache: Bei schwierigen Situationen kann ein Dolmi vom Fach bestellt werden. Ob sich Erstklässler finden lassen, die alle Begriffe aus den Bereichen Aktienhandel und Atomwissenschaft über Frauenheilkunde und Zahnmedizin im Schlaf herunterbeten können?

Ein Dolmetscher verschaffte den Zuhörern einen Einblick in seine Lage: „Wir sind nicht reich, wir müssen viele Beiträge selbst bezahlen, für unsere Rente sparen und wenn wir krank sind, zahlt uns keiner was“. Doch keine Sorge, ihr seid nicht alleine: Andere Selbständige und Freiberufler müssen das auch. Mit dem Unterschied, dass die Dolmetscher zu der Berufsgruppe gehören, die kaum „Betriebskosten“ haben! Viele Freiberufler und Gewerbetreibende haben zwangsläufig hohe Ausgaben. Druckereien müssen in Maschinen investieren, Autohändler kaufen Autos an, Reparaturwerkstätte brauchen ein mit Ersatzteilen gefülltes Lager und Ärzte schlagen sich mit Krediten für medizinische Geräte herum. Dazu kommen oft noch Löhne für Angestellte, Mieten für Räume, Rückzahlungen für Darlehen und vieles andere. Zwar fallen bei Dolmetschern Kosten für Fahrten und Spesen an, doch die werden sowieso in Rechnung gestellt. Die Terminbücher sind immer voll und bei Erkrankungen sammeln sich die Aufträge an. Davon können Selbständige in fast allen Branchen nur träumen.

Die Lösung wäre… Dolmetscher/in zu einem echten Ausbildungsberuf machen! Nach dem Besuch einer Berufsfachschule können Berufsanfänger beim Staat angestellt werden. Natürlich werden sie ausschliesslich nach BAT bezahlt. Die Einsatzzeiten werden vom Schichtleiter eingeteilt und die Tarife gelten bundesweit. Das Beste: Jeder Auftrag muss angenommen werden.

Schön wäre es – soweit wird es nicht kommen. Jetzt ist trotz DGS-Anerkennung nicht einmal die Gebärdensprache einheitlich. Und neuerdings werden sogar Verständigungskurse für Gehörlose angeboten. Dort können sie lernen, ihren Dolmetscher zu verstehen und sogar es gibt auch taube Gebärdendolmetscher, ganz egal, welche Muttersprache sie gebärden….Hauptsache verstanden!

 

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Eine Antwort zu “Kommunikationshelfer, die bessere Gebärdensprachdolmetscher?

  1. Mareika B.

    31. Januar 2013 at 15:23

    Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin selbst ein tolles „CODA-Kind“. Diese Kommunikationshelfer seh ich als Dolmetscherin eher skeptisch… Ich frag mich, was das sein soll, eine billige Dolmi-Variante? Ok, wär ja keine schlechte Idee, aber ob jemand, der keine Ahnung von Gehörlosen hat, wirklich innerhalb eines halben Jahres eine ausreichende Gebärdensprachqualifikation und Ahnung von der Gl-Kultur erwerben kann… ich weiß ja nicht! Für Codas mit DGS-Kompetenz usw könnte ich mir das schon vorstellen, die haben ja schon viel Hintergrundwissen. Aber letztendlich hat sowas doch negative Auswirkungen, denn dann werden viele Ämter usw. nur die billige Variante bezahlen wollen, und die wirklich qualifizierten, die 100% dolmetschen, bleiben auf der Strecke, und damit ja auch der Gehörlose, denn er muss sich mit weniger Qualität des Gedolmetschten zufrieden geben…

     

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